Frühkindlicher Autismus – die Welt der besonderen Kinder

Sobald der Staubsauger angeht, fängt Theo an zu schreien. Die Lautstärke scheint ihn zu überfordern. Theo ist zwei Jahre alt, er spricht nicht. Dafür kann er sich schon stundenlang allein beschäftigen. Er liebt sein Spielzeugauto. Wenn es nach ihm ginge, könnte er den ganzen Tag an den Rädern des Autos drehen. Auf Ansprache reagiert er häufig nicht.

Kommt dir diese Situation bekannt vor?

Vielleicht bist du auf diesen Artikel gestoßen, weil frühkindlicher Autismus bei deinem Kind vermutet wird? Vielleicht aus Neugierde? Oder wurde bereits eine Diagnose bei deinem Kind erstellt und du möchtest dich informieren? Egal mit welcher Absicht du hier bist: auf dieser Seite bist du richtig! Denn in diesem Artikel erfährst du alles, was du zu dem Thema “frühkindlicher Autismus” wissen solltest.

Der Oberbegriff “Autismus-Spektrum-Störung” unterscheidet zwischen drei verschiedenen Formen: dem “frühkindlichen Autismus”, dem “Asperger-Syndrom” und dem “atypischen Autismus”. Heutzutage wird in der Regel unabhängig von der Form der Begriff Autismus-Spektrum-Störung verwendet. Grund dafür ist, dass sich die Symptome sehr ähnlich äußern und es darüber hinaus auch nicht DEN Autismus gibt.

Der wesentliche Unterschied liegt zunächst im Zeitraum der ersten Anzeichen. Während sich die ersten Merkmale eines möglichen Asperger-Syndroms erst ab dem dritten Lebensjahr zeigen, treten die ersten Symptome beim frühkindlichen Autismus bereits in den ersten Lebensmonaten auf.

In diesem Beitrag erfährst du, was es mit frühkindlichem Autismus auf sich hat, wie er sich erkennen lässt und welche weiteren Schritte nach einem Verdacht unternommen werden können.

Definition 

Frühkindlicher Autismus zählt zu den schwerwiegendsten Formen von Autismus. Der Kinderpsychiater Leo Kanner beschrieb den frühkindlichen Autismus Mitte des 20. Jahrhunderts als Erster, weshalb das Störungsbild auch als „Kanner-Autismus“ oder „Kanner-Syndrom“ bekannt ist. Umgangssprachlich ist zudem häufig die Rede vom schweren Autismus oder dem klassischen Autismus.

Frühkindlicher Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die sich durch auffällige Verhaltensweisen des Kindes äußert. 

Laut der Weltgesundheitsorganisation zeigen sich die ersten Merkmale bereits vor dem dritten Lebensjahr. Jungen sind häufiger davon betroffen als Mädchen. Die Symptome können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und begleiten Betroffene ein Leben lang. Typisch für den frühkindlichen Autismus ist eine schwerwiegende Verzögerung der Sprachentwicklung.

Symptome

Bevor genauer auf die Symptome eingegangen wird, ist es wichtig eines zu erwähnen:

„Kennst du einen Autisten, kennst du genau einen Autisten“.

Dieses Zitat fasst das weite Symptomspektrum des frühkindlichen Autismus gut zusammen.

Jedes autistische Kind ist absolut individuell – auch in seinen Besonderheiten.

Die Symptome können sich insbesondere im Bereich der Entwicklung des Kindes zeigen. Die Intelligenz- und Sprachentwicklung weisen häufig eine starke Verzögerung auf. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen kommt eine geistige Behinderung hinzu.

Ebenso ist es möglich, dass das Kind über eine große intellektuelle Begabung (Stichwort: Inselbegabung) verfügt, welche sich mit der Zeit herauskristallisieren kann.

Die ersten Anzeichen für einen möglichen frühkindlichen Autismus können sich unter anderem durch

  • Ablehnung der Brust,
  • Schwierigkeiten beim Zufüttern,
  • stereotypes Spielverhalten,
  • Probleme bei der Sauberkeitserziehung,
  • fehlende Neugier auf die Umwelt,
  • ausgeprägte Schlafstörungen,
  • geringes Einsetzen von Gestik, Mimik und Lauten,
  • eine ausbleibende Reaktion auf den eigenen Namen oder
  • selbstverletzendes Verhalten (z.B. Ausreißen der Haare, Kopf gegen die Wand schlagen)

äußern.

Es gibt allerdings auch Fälle, in denen sich die Kinder in den ersten Lebensmonaten unauffällig entwickeln und sich erst im zweiten oder dritten Lebensjahr auffällige Verhaltensweisen manifestieren.

Auch in den Bereichen Kommunikation/Sprache, soziale Interaktion und Wahrnehmung kommt es in aller Regel zu Auffälligkeiten, die sich dem frühkindlichen Autismus zuschreiben lassen.

Beispielhafte Besonderheiten im Bereich der Kommunikation und Sprache:

  • Die Sprache setzt unvollständig, stark verzögert oder überhaupt nicht ein.
  • Das Kind versucht nicht die fehlende Sprachkompetenz durch eigenen Körpereinsatz (z.B. Zeigen auf Gegenstände) zu ersetzen.
  • Die Sprache wird sehr monoton eingesetzt, wirkt teilweise mechanisch.
  • Einzelne Wörter werden häufig mehrfach wiederholt.
  • Begriffe oder Sätze werden nachgesprochen, ohne dass der Inhalt vom Kind verstanden wird.
  • Verfügt das Kind über ausreichende Sprachkompetenz, fällt es ihm schwer, eine Kommunikation zu beginnen oder aufrecht zu erhalten.

Beispielhafte Besonderheiten im Bereich der sozialen Interaktion/Wahrnehmung:

  • Der Gebrauch von nonverbaler Kommunikation ist beeinträchtigt. Es findet ein geringes Einsetzen von Körpersprache, Mimik und Gestik statt.
  • Ein Blickkontakt wird nicht aufgebaut oder kann nicht gehalten werden.
  • Das Kind besitzt Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu zeigen oder die der anderen zu verstehen.
  • Es zeigt sich kein Beobachtungsverhalten, wodurch kaum eine soziale Imitation entsteht.
  • Lernen durch Nachahmung stellt eine große Herausforderung dar.
  • Das Kind hat Schwierigkeiten, altersentsprechende Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen.
  • Alterstypische Rollenspiele finden nicht statt.
  • Das Kind besitzt ein sehr eingeschränktes Interesse an anderen Menschen, es findet keine aktive Kontaktaufnahme statt.
  • Betroffene Kinder haben häufig nicht das Verlangen, Erlebtes, Interessen oder Freude mit anderen zu teilen.
  • Die Geräuschsensibilität ist stark ausgeprägt.
  • Häufig lässt sich eine Unterempfindlichkeit in Bezug auf Wärme, Kälte oder Schmerz beobachten.

Stereotype Verhaltensmuster, Aktivitäten und Interessen sind ebenfalls klassische Symptome, die auf frühkindlichen Autismus schließen können.

Diese können sich wie folgt äußern:

  • Kinder entwickeln ritualisierte Verhaltensmuster.
  • Veränderungen oder Abweichungen von gewissen Ritualen empfinden Kinder mit frühkindlichem Autismus als enorme Stresssituation.
  • Motorische Auffälligkeiten sind durch stereotypisch ausgeführte Bewegungen zu beobachten (z.B. komplexe Bewegungen des ganzen Körpers, Flattern mit den Händen oder Fingern).
  • Beschäftigungen der Kinder wirken oft eintönig und hartnäckig.
  • Das Interessengebiet zeichnet sich durch sehr ungewöhnliche Dinge aus (z.B. Lichtschalter, Türklinken, Oberflächenbeschaffenheit oder Geräusche, minutenlanges Drehen von Rädern eines Spielzeugautos).

[1, 2, 3]

Ursachen

Bis heute ist die genaue Ursache von frühkindlichem Autismus unklar. Es wird davon ausgegangen, dass eine Vielzahl von genetischen Einflüssen Autismus verursacht.

Sowohl genetische Faktoren als auch das Zusammenspiel von Umwelteinflüssen können dazu führen, dass sich das frühkindliche Gehirn anders entwickelt.

Zudem gelten erbliche Faktoren als eine der Hauptursachen für Autismus. Wurde bei einem Elternteil eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass auch das Kind diese Diagnose erhalten wird.

[4]

Therapie

Zunächst ist es ratsam, eine diagnostische Untersuchung durchführen zu lassen. In der Regel ist eine eindeutige Diagnosestellung von frühkindlichem Autismus erst ab dem zweiten Lebensjahr möglich.

Besteht der Verdacht auf frühkindlichen Autismus, kann das Sozialpädiatrische Zentrum eine erste Anlaufstelle darstellen. Eine autismusspezifische Diagnose kann aber auch von niedergelassenen Kinderpsychotherapeuten oder in einer entsprechenden Klinik erstellt werden.

Eine ursächliche Behandlung von frühkindlichem Autismus ist bislang noch nicht möglich.

Die Symptome können allerdings therapiert werden. Gelegentlich gehen die Symptome mit den Jahren auch zurück. Unter Umständen können in der Pubertät jedoch neue Symptome wie gesteigerte Aggressivität hinzukommen.

Das Ziel einer Therapie besteht darin, die kommunikativen und sozialen Kompetenzen des Kindes zu verbessern und die Eltern im Umgang mit dieser Besonderheit zu unterstützen.

Mit Hilfe einer intensiven autismusspezifischen Frühförderung lassen sich sowohl die Sprachentwicklung als auch die Kognition positiv beeinflussen.

Geht mit dem frühkindlichen Autismus noch eine geistige Behinderung einher, ist häufig eine lebenslange Betreuung notwendig.

So kannst du einem autistischen Kind das Leben erleichtern

Kinder mit frühkindlichem Autismus verarbeiten Sinneseindrücke anders. Auch erlebte Gefühle überfordern sie häufig.

Wenn du dem Kind den Alltag erleichtern möchtest, kannst du versuchen

  • das Kind gut zu beobachten. Nicht jedes autistische Kind hat die gleichen Bedürfnisse.
  • reizüberflutende Situationen, wie z.B. Menschenmengen zu vermeiden.
  • das Kind geduldig zu begleiten, wenn es sich an neue Situationen gewöhnen muss.
  • Verständnis für gewisse Eigenheiten aufzubringen. Versuche dem Kind Zeit für seine Gewohnheiten einzuräumen.
  • dem Kind zu erklären, was es in einer ungewohnten Situation erwarten wird.
  • möglichst das Bedürfnis nach Beständigkeit zu erfüllen.
  • die Welt aus den Augen des Kindes zu betrachten.
  • neugierig zu bleiben.
  • das Umfeld über die Besonderheiten aufzuklären.

Fazit

„Autismus ist kein Systemfehler, sondern ein anderes Betriebssystem.“

Soll heißen:

(Frühkindlicher) Autismus ist keine Krankheit. Es ist eine andere Art des Denkens, des Fühlens, des (Er)Lebens. Autistische Kinder nehmen anders wahr und lernen anders. Sie haben oft ihren eigenen Blick auf die Welt.

Keine Frage: Angehörige kann das vor eine große Herausforderung stellen.

Es ist schwer vorstellbar, wie ein autistisches Kind die Welt betrachtet. Gleichzeitig fällt es aber auch autistischen Kindern schwer, nicht-autistische Menschen zu verstehen.

Es lässt sich nicht leugnen, dass die Besonderheiten, je nach Ausprägung, sehr schwerwiegend sein können. Das kann für alle Beteiligten eine große Belastungsprobe darstellen. An dieser Stelle ist es ratsam, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Mittlerweile gibt es auch für Angehörige zahlreiche Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen, die für Entlastung sorgen können.

Dennoch: Das Kind kann nichts für sein spezielles Verhalten und es KANN manches einfach nicht verstehen. Zudem haben autistische Kinder Schwierigkeiten, Empathie aufzubringen, was nicht selten die soziale Interaktion erschwert. Hier stellt sich die Frage, ob es dann nicht unsere Aufgabe ist, ihnen mit Mitgefühl und Verständnis entgegenzutreten?

Schließlich hilft das nicht nur dem Kind, sondern auch dem gemeinsamen Miteinander und uns selbst. Vielleicht habt ihr auch schon die Erfahrung gemacht, dass sich mit Verständnis und Akzeptanz auch gleichzeitig unsere Haltung ändert, wodurch es leichter wird, alltägliche Herausforderungen gelassener zu erleben.

Was denkt ihr darüber? Teilt eure Gedanken und Erfahrungen gerne in den Kommentaren.

Literatur & Links

[1] https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org
[2] https://autismus-institut.de
[3] http://autismus.de
[4] https://gesund.bund.de

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