Fütterstörungen – Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten

Fütterstörungen

Zu den frühkindlichen Regulationsstörungen gehören neben exzessivem Schreien und Schlafstörungen auch Fütterstörungen des Kindes. Auch hier spricht man erst dann von einer Fütterstörung, wenn die Probleme nicht nur vorübergehend sind und der Fokus auf das Essen den Alltag stark beeinträchtigt. Fütterstörungen treten z.B. in Form von übermäßiger Nahrungsverweigerung auf und können für die Bezugspersonen und das Kind sehr belastend sein.

Wie viel und was genau ein Kind isst oder wie schnell es zunimmt und wächst, ist sehr individuell. Es gibt also eine große Bandbreite, was kindliches Essverhalten angeht, und die meisten Verhaltensweisen bzw. von Bezugspersonen als wahrgenommene “Eigenarten” liegen in einem physiologischen Rahmen, der nicht weiter abklärungsbedürftig ist. Das bedeutet aber auch, dass man nicht einfach Durchschnittswerte oder Normangaben heranziehen kann, um die Essensaufnahme eines Kindes zu beurteilen [1].

Wann also spricht man explizit von Fütterstörungen bzw. wodurch zeichnen sie sich aus?

Definition und Symptome einer Fütterstörung

Folgende Kriterien müssen für eine Fütterstörung gegeben sein [2]:

  • das Problem besteht seit mindestens einem Monat und die Fütterinteraktionen werden von den Eltern als problematisch und belastend empfunden
  • eine Mahlzeit dauert i.d.R. länger als 45 Minuten und/oder
  • zwischen den Mahlzeiten liegen weniger als 2 Stunden

Fütterstörungen können dabei durch folgende Merkmale gekennzeichnet sein [3]:

1. Symptome auf Seiten des Kindes

  • keine bzw. wenige Hunger- und Sättigungssignale
  • Essunlust oder aktive Verweigerung der angebotenen Nahrung
  • während der Essensaufnahme erhöhte Erregbarkeit, abwehrendes Schreien, motorische Unruhe oder extreme Ablenkbarkeit
  • Ausspucken von Essensstückchen, Essen herauslaufen lassen, “Horten” der Nahrung im Mund, forciertes Würgen und Erbrechen
  • extrem lange Mahlzeiten, oft gefolgt von ständigem Nahrungsangebot zwischen den Mahlzeiten
  • z.T. altersunangemessene Nahrung, v.a. bei wählerischem Essverhalten
  • z.T. Stagnation des Gewichts oder Gewichtsabnahme

2. Eltern-Kind-Interaktion

Häufig ist ein dysfunktionaler Teufelskreis im Fütterkontext zu beobachten, der durch ungünstige Verhaltensweisen auf Seiten der Eltern und des Kindes aufrechterhalten wird:

  • die Bezugsperson ist ängtlich und bestimmt den Fütterprozess durch Ablenkung des Kindes oder kontrollierendes Verhalten, mitunter auch durch Zwangseinflößung der Nahrung.
  • das Kind benutzt das Mittel der Nahrungsverweigerung, um etwas Unangenehmes zu vermeiden (z.B. Empfindungen im Mund-/Rachenbereich, emotionale negative Erfahrungen wie Druck oder Zwang beim Essen) oder um etwas Angenehmes zu erreichen (z.B. andere Nahrung, Zuwendung/Fürsorge).

3. Erleben und Verhalten auf Seiten der Bezugspersonen

  • starke Verunsicherung bei den Bezugspersonen aufgrund des Gefühls, das Kind nicht angemessen ernähren und versorgen zu können
  • in der Folge können ausgeprägte, teils irrationale Ängste entstehen in Bezug auf das Überleben und Wachsen des Kindes (z.B. Angst davor, dass das Kind verhungert oder Trennungs-, Verlust- und Todesängste)
  • die Abwehrhaltung des Kindes kann zu Versagensgefühlen, einem verletzten Selbstwert oder depressiven Verstimmungen führen
  • auch Ärger und Wut oder ambivalente Empfindungen (z.B. gleichzeitig Ablehnung und Schuldgefühle) sind möglich
  • viel wahrgenommener Druck durch Außenstehende (z.B. von Kinderärzten oder durch das soziale Umfeld)

Häufigkeiten von Fütterstörungen

Vorübergehende Fütterprobleme treten häufig auf, ca. ein Drittel aller Eltern berichten von entsprechenden Schwierigkeiten im ersten Lebensjahr ihres Kindes [4]. Leichte oder mittelschwere Fütterstörungen werden bei 20 bis 25 Prozent der Kinder in den ersten Lebensjahren beobachtet. Von schweren Fütterstörungen hingegen sind mit 3 bis 12 Prozent weniger Kinder betroffen [5].

Welche Ursachen haben Fütterstörungen?

Frühkindlichen Fütterstörungen können verschiedene Ursachen zugrunde liegen [6, 7]:

1. Ursachen auf Seiten des Kindes

  • ein Teil der Fütterstörungen entsteht aufgrund von genetisch bedingten Stoffwechselstörungen und organischen Erkrankungen, die mit chronischem Appetitverlust, Erbrechen und
    Verdauungsstörungen einhergehen
  • weiterhin gibt es posttraumatische Fütterstörungen des Kindes in Folge von unangenehmen Erfahrungen im Mund-/Rachen-Bereich (z.B. nach Intubation, Sondenernährung oder Zwangsernährung)
  • das Kind hat möglicherweise Schwierigkeiten, alterstypische regulatorische Anpassungen zu bewältigen
  • ein eher “schwieriges” Temperament des Kindes (z.B. Hyperreaktivität, leichte Ablenkbarkeit, erschwerte Anpassung an neue Situationen) kann eine Fütterstörung begünstigen

2. Familiäre bzw. umweltbedingte Ursachen

  • die Fütterproblematik wird aufrechterhalten bzw. verstärkt durch dysfunktionale Eltern-Kind-Interaktionen (s.o.)
  • mütterliche Essstörungen gehen häufiger mit Fütterstörungen einher (weil Fütterinteraktionen hier öfter von Konflikten und negativen mütterlichen Gefühlen begleitet sind)
  • multiple psychosozialen Belastungen der Eltern vor, während oder nach der Geburt (z.B. Depressionen und Ängste)
  • dysfunktionale familiäre Beziehungsmuster (Paarkonflikte, Probleme mit der Herkunftsfamilie)

Behandlungsmöglichkeiten

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um frühkindliche Fütterstörungen zu behandeln [3, 8]:

1. Behandlung des Kindes

Zunächst muss überprüft werden, ob es organische Gründe gibt oder ob ein pädiatrisches Störungsbild vorliegt, welches die Fütterstörung verursachen könnte. Sollte das der Fall sein, würden die Eltern gemeinsam mit Fachpersonal (z.B. Kinderärzten oder Logopäden) an der Problematik arbeiten.

2. Beratung und Entlastung der Eltern

Die Stärkung der Eltern stellt auch bei Fütterstörungen einen wichtigen Bestandteil der Behandlungstrategie dar. Hilfreich ist es z.B., wenn die Eltern im Alltag entlastet werden, bspw. durch Angehörige oder eine Haushaltshilfe. Außerdem sollen die Eltern ermutigt werden, damit sie wieder Vertrauen in ihre Kompetenzen als Eltern fassen können.

Um die Eltern fachlich beraten zu können, ist es hilfreich die Füttersituationen von Fachpersonal (z.B. durch Sozial-/Heilpädagogen oder Kinderkrankenschwestern) beobachten zu lassen. Zusammen mit den Eltern werden dann in der Beratung neue Fütterregeln vereinbart. Das Ziel dieser Regeln ist, dass die elterliche Kontrolle in Füttersituationen reduziert wird und stattdessen mehr auf die kindlichen Signale geachtet wird.

Folgende Fütterregeln sind häufig Bestandteil einer Elternberatung:

  1. Es gibt feste Mahlzeiten (sowie ggf. geplante Zwischenmahlzeiten), dazwischen wird kein Essen angeboten (dadurch soll erreicht werden, dass das Kind zu den Mahlzeiten ein Hungergefühl hat)
  2. Essenszeiten und Spielzeiten werden strikt getrennt
  3. Störquellen beim Essen abschalten
  4. Pro Mahlzeit maximal 30 Minuten, wenn das Kind spielt (ohne zu essen), das Essen nach 5-10 Minuten wegräumen
  5. Klare Aufgabenverteilung zwischen Eltern und Kind:
    • Die Eltern sorgen für altersangemessenes, ausgewogenes Essen
    • Das Kind steuert die Menge der Nahrungsaufnahme (durch Hunger- und Sättigungssignale)
  6. Mahlzeiten werden bei Ablehnung des Kindes freundlich beendet
  7. Keine Strategien wie z.B. Ablenkung, Druck oder Zwang!
  8. Kein Essen als Belohnung oder Geschenk
  9. Positives Essverhalten des Kindes verstärken
  10. Sorgen und Ängste in Bezug auf das kindliche Wachstum an den Kinderarzt delegieren

Fazit

Es kann festgehalten werden, dass frühkindliche Fütterstörungen komplexe Probleme darstellen, die sowohl das Kind als auch die Bezugspersonen erheblich belasten können. Die Definition und Symptome einer Fütterstörung zeigen auf, dass es sich nicht nur um vorübergehende Schwierigkeiten handelt, sondern um anhaltende Probleme, die das tägliche Leben stark beeinträchtigen. Die häufigen Symptome auf Seiten des Kindes und der Eltern-Kind-Interaktion verdeutlichen die komplexen Wechselwirkungen, die zu einem dysfunktionalen Teufelskreis führen können.

Gleichzeitig zeigt die Häufigkeit von Fütterstörungen, dass vorübergehende Fütterprobleme im ersten Lebensjahr nicht ungewöhnlich sind. Die Ursachen können vielfältig sein, von genetischen Faktoren bis hin zu familiären und umweltbedingten Einflüssen. Die Behandlung sollte dementsprechend nicht nur das Kind, sondern auch die Unterstützung und Beratung der Eltern umfassen.

Die vorgestellten Behandlungsmöglichkeiten unterstreichen die Wirksamkeit eines ganzheitlichen Ansatzes. Die Überprüfung auf organische Gründe und die Zusammenarbeit mit Fachpersonal sind entscheidend, während die Eltern gleichzeitig entlastet und gestärkt werden müssen.

Insgesamt ist die frühzeitige Erkennung, die umfassende Diagnose und eine gezielte Behandlung entscheidend, um die Lebensqualität von Kindern mit Fütterstörungen zu verbessern und die Belastung für die Familien zu minimieren.

Literatur & Links

[1] Largo, R. H. (1993). Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten: Störungen oder
Normvarianten? Monatsschrift für Kinderheilkunde, 141, 698-703.

[2] Thiel-Bonney, C., & von Hofacker, N. (2015). Fütterstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern. In Regulationsstörungen (S. 77-102). Springer: Berlin.

[3] Papoušek, M. (2005) Regulationsstörungen der frühen Kindheit. Münchner Medizinische Wochenschrift, 2005, 1-9.

[4] Forsyth, B. W., & Canny, P. F. (1991). Perceptions of vulnerability 3½ years after problems of feeding and crying behavior in early infancy. Pediatrics, 88, 757-763.

[5] Wright, C. M., Parkinson, K.N., Shipton, D., Drewett, R.F. (2007) How do toddler eating problems relate to their eating behaviour, food preferences, and growth. Pediatrics, 120, 1069–1075.

[6] Papoušek, M. (2002). Störungen des Säuglingsalters. Lehrbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie des Kindes-und Jugendalters. Thieme, Stuttgart, 80-100.

[7] Benoit, D. (2000). Feeding disorders, failure to thrive, and obesity. In C. H. J. Zeanah (Ed.),
Handbook of infant mental health (pp. 339-352). New York: The Guilford Press.

[8] Kerzner, B., Milano, K., MacLean, W. C., Berall, G., Stuart, S., & Chatoor, I. (2015). A practical approach to classifying and managing feeding difficulties. Pediatrics, 135, 344-353.

https://www.kindergesundheit-info.de/themen/ernaehrung/essprobleme/fuetterstoerungen/

https://www.uniklinik-ulm.de/fileadmin/default/Kliniken/Kinder-Jugendpsychiatrie/Praesentationen/PP_2016_01_Goettingen_Lehrprobe.pdf

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