Geschlechterstereotype – Theorien und Modelle

In diesem Artikel geht es um Geschlechterstereotype. Doch was ist das überhaupt? Bei Stereotypen handelt sich um sozial geteiltes Wissen über die Merkmale von Gruppen und ihren Mitgliedern, also hier z.B. Männern und Frauen.

Geschlechterstereotype – Typisch Mann, typisch Frau?

Die Menschen in einer Gesellschaft haben also eine mehr oder weniger bewusste Vorstellung davon, welche Eigenschaften typisch männlich oder typisch weiblich sind.  Ganz klassische Geschlechterstereotype sind z.B. die, dass Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können. Oder dass Jungs gut in Mathe und Mädchen gut in Deutsch sind. Aber wie genau sehen Geschlechterstereotype aus wie entstehen sie überhaupt?

Geschlechterstereotype-Mann
Merkmale, die typischerweise Männern zugeschrieben werden
Geschlechterstereotype-Frau
Merkmale, die typischerweise Frauen zugeschrieben werden

Sozialpsychologische Theorien

Um das besser zu verstehen, werde ich zwei psychologische Theorien vorstellen: Das Stereotype-Content-Model und die Social Role Theory. Danach werdet ihr wissen, wie sich Geschlechterstereotype aufteilen lassen und wie Geschlechterstereotype mit Rollenbildern zusammenhängen. Die Auflistung ist nicht vollständig – es gibt noch viele weitere Ansätze, die zum Teil an anderer Stelle diskutiert werden.

Das Stereotype-Content-Model (Fiske, Cuddy, Glick & Xu, 2002)

Die Theorie hinter dem Stereotype-Content-Model, (dt.: Stereotypen-Inhalts-Modell) sagt, dass geschlechtsspezifische Stereotypen auf den beiden Dimensionen Wärme und Kompetenz abgebildet werden können. Die Einordnung von Stereotypen auf diesen Dimensionen hängt außerdem vom Status der Gruppen und vom Wettbewerb zwischen den Gruppen ab, sodass insgesamt vier Formen von Stereotypen unterschieden werden können.

Hausfrauen z.B. werden hohe Werte auf der Dimension Wärme und niedrige Werte auf der Dimension Kompetenz zugeschrieben, was einem paternalistischen Stereotyp entspricht. Im Gegensatz dazu entstehen neidvolle Stereotype bspw. bei Feministinnen oder weiblichen Führungskräften, denen hohe Werte auf der Dimension Kompetenz und niedrige Werte auf der Dimension Wärme zugeschrieben werden. Weitere Formen sind bewundernde Stereotype (wenn man die Eigengruppe favorisiert) bzw. verachtende Stereotype (wenn man z.B. auf Arbeitslose oder obdachlose Personen herabsieht), die sich bei hohen bzw. niedrigen Werten auf beiden Dimensionen ergeben.

Geschlechterstereotype-Tabelle mit Stereotype Content Model
Das Stereotype Content Model nach Fiske et al. (2002)

Aufrechterhaltung von Statusungleichheiten

Das Interessante an den paternalistischen Stereotypen ist, dass hier einerseits die Unterordnung der zugehörigen Gruppenmitglieder gerechtfertigt zu sein scheint (die Hausfrau ist ja weniger kompetent, deswegen hat sie weniger zu sagen) und andererseits diese Unterordnung von der statushöheren Gruppe weiterhin eingefordert wird (die Hausfrau wird gebraucht und ist wichtig, weil sie sich so fürsorglich um die Kinder kümmert). Bemerkenswert ist, dass beide Gruppen, also auch die statusniedrigere Gruppe der Frau, diese Ungleichheit akzeptieren. Das trägt dann nämlich letzten Endes dazu bei, dass Statusungleichheiten zwischen Gruppen, hier z.B. der Hausfrau und dem Mann als Versorger der Familie, aufrechterhalten werden.

Bei neidvollen Stereotypen hingegen entsteht eine Wettbewerbssituation zwischen der Fremd- und der Eigengruppe (weil die Fremdgruppe als sehr kompetent wahrgenommen wird). Da die Kompetenz in diesem Falle offensichtlich und (status-)bedrohlich ist, wird z.B. über diese Gruppenmitglieder gesagt, dass sie egoistisch seien und nur ihre eigenen Ziele verfolgen würden (weil sie wenig Wärme zeigen) oder dass sie, ganz allgemein gesagt, weniger sozial sind, als man es eigentlich von ihnen erwarten würde. Also dienen auch neidvolle Stereotype dazu, den Status Quo zu erhalten, weil sie es rechtfertigen, dass z.B. erfolgreiche Karrierefrauen aufgrund ihrer vermeintlich geringen Wärme negativ bewertet werden.

Social Role Theory (Eagly, Wood & Diekman, 2000)

Die Social Role Theory (dt.: Theorie der sozialen Rollen) nimmt an, dass Frauen und Männern in einer Gesellschaft bestimmte familiäre, aber auch berufliche Rollen zugeschrieben werden. Diese Rollenbilder führen zu Status- und Machtunterschieden, die sich in einer Geschlechtshierarchie manifestieren. Der Grund dafür, dass sich Männer und Frauen unterschiedlich verhalten, liegt der SRT zufolge zum einen an der vorherrschenden traditionellen, geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (die Frau versorgt die Kinder, der Mann ist der Hauptverdiener) und der daraus resultierenden Geschlechtshierarchie. Andererseits streben sowohl Männer als auch Frauen danach, sich die rollenspezifischen, notwendigen Fähigkeiten anzueignen, um diese Rollen erfolgreich auszufüllen.

Weil z.B. die Hauptaufgabe einer Hausfrau darin liegt, sich vor allem um die Kinder, aber auch den Partner und andere Angehörige zu kümmern, ist es für Frauen wichtig, ausgeprägte kommunale, d.h. zwischenmenschliche und kommunikative Fähigkeiten zu erlangen, um dieser Rolle gerecht werden zu können. Männer hingegen stärken eher agentische Fähigkeiten wie Durchsetzungsfähigkeit und Unabhängigkeit, um sich auf männlich dominierte Berufszweige und -positionen vorzubereiten. Bestehende gesellschaftliche Rollenbilder führen also dazu, dass sich Männer und Frauen im Laufe ihrer Entwicklung die entsprechenden Fähigkeiten aneignen, was wiederum zum Erhalt des Status Quo (d.h. Statusungleichheit zwischen den Geschlechtern) beiträgt.

Fazit

Geschlechterstereotype, also sozial geteiltes Wissen über die typischen Merkmale von Männern und Frauen, prägen die Vorstellungen in der Gesellschaft. Klassische Geschlechterstereotypen beinhalten z.B., dass traditionelle Frauen in einer Gesellschaft in der Regel als sanfter und einfühlsamer, aber gleichzeitig auch als weniger kompetent und durchsetzungsfähig wahrgenommen werden. Weniger traditionelle Frauen (z.B. Karrierefrauen oder Feministinnen) werden dagegen als kompetent, jedoch gleichzeitig kühl oder unsozial wahrgenommen.

Das Stereotype-Content-Model verdeutlicht, dass Geschlechterstereotype auf den Dimensionen Wärme und Kompetenz abgebildet werden können. Dies führt zu unterschiedlichen Formen von Stereotypen, darunter paternalistische, neidvolle, bewundernde und verachtende Stereotypen. Diese Modelle tragen zur Aufrechterhaltung von Statusungleichheiten bei, indem sie die Unterordnung und Wertigkeit bestimmter Gruppen legitimieren und fördern.

Die Social Role Theory betont die Zuweisung von familiären und beruflichen Rollen an Frauen und Männer. Durch diese Rollenbilder entstehen Status- und Machtunterschiede, die sich in einer Geschlechtshierarchie manifestieren. Männer und Frauen entwickeln demnach Fähigkeiten, die ihren zugewiesenen Rollen entsprechen, was den Status Quo und die Geschlechtsungleichheit weiter perpetuiert.

Insgesamt verdeutlicht der Artikel, dass Geschlechterstereotype tief in gesellschaftlichen Strukturen verwurzelt sind und durch psychologische Mechanismen dazu beitragen, bestehende Ungleichheiten aufrechtzuerhalten. Die Sensibilisierung für Geschlechterstereotype im Alltag kann ein erster Schritt sein, um diese Muster zu durchbrechen und eine gleichberechtigtere Gesellschaft zu fördern.

Denn obwohl Geschlechtsstereotype theoretisch dynamisch sind und sich mit den familiären und beruflichen Rollenbildern einer Kultur verändern, ist dieser kulturelle Veränderungsprozess ein eher langwieriges Geschehen. Und langwierig meint hier, dass es Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte dauert, bis die Veränderungen wirklich in der Gesellschaft angekommen sind. Das, was Geschlechterstereotype beinhalten, ist außerdem kulturunabhängig gültig. Das heißt man wird dieses Bild, vor allem die Rollenverteilungen zwischen Mann und Frau, in fast allen Teilen der Welt wiederfinden.

Geschlechterstereotype – Anregungen für den Alltag

Nun fragt ihr euch vielleicht, was einem dieses Wissen im Alltag bringt? Ich habe hier ein paar Ideen für euch: Man könnte sich mal kritisch fragen, in was für einer Welt man selbst lebt, also wie die eigene Partnerschaft, aber auch die Beziehungen im Umfeld aussehen. Inwiefern sieht man z.B. offensichtliche Statusungleichheiten in Partnerschaften? Leben die Paare im Kreis der Verwandtschaft, bei Freunden und Bekannten eher traditionelle Rollenbilder vor, oder gibt es Paare, die mit gängigen, konventionellen Rollenbildern schon gar nicht mehr übereinstimmen? Falls ja, wie sind die Reaktionen auf solche Paare, wie bewertet man selbst solche „Abweichler“?

Und auch in Familien, in denen traditionelle Rollenbilder gelebt werden: sieht man dort auch die beschriebenen Status- und Machtunterschiede oder gibt es vielleicht Konstellationen, bei denen man sieht und spürt, dass die Beziehung trotz einer traditionellen Rollenverteilung von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung geprägt ist? Das alles sind Fragen, die man sich im Alltag stellen kann und anhand derer man sieht, wie sich Geschlechterstereotypen im persönlichen Umfeld eben mehr oder weniger ausdrücken.

Was denkt ihr? Gibt es positive oder negative Beispiele in eurem Umfeld, die ihr bei diesem Thema vor Augen habt? Ich freue mich über eure Kommentare!

PS: Wie sich Geschlechterstereotype im Beruf auswirken können, erfahrt ihr in den Artikeln “Elternzeit Vater: Leidet die Karriere?” und “Elternzeit Mutter: Kurze Auszeit = Nachteile im Job?”.

Literatur

Eagly, A. H., Wood, W., & Diekman, A. B. (2000). Social role theory of sex differences and similarities: A current appraisal. In T. Eckes, & H. M. Trautner (Eds.), The developmental social psychology of gender (pp. 123-174). Mahwah, NJ: Erlbaum.

Eckes, T. (2008). Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In R. Becker & B. Kortendiek (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung (S. 171-182). Wiesbaden: Springer.

Fiske, S. T., Cuddy, A. J., Glick, P., & Xu, J. (2002). A model of (often mixed) stereotype content: Competence and warmth respectively follow from perceived status and competition. Journal of Personality and Social Psychology, 82, 878-902. DOI: 10.1037//0022-3514.82.6.878

Ridgeway, C. L. (2001). Gender, status, and leadership. Journal of Social issues, 57, 637-655. DOI: 10.1111/0022-4537.00233

Williams, J. E., & Best, D. L. (1990). Sex and psyche: Gender and self viewed cross-culturally. New York: Sage.

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