Welches Temperament hat mein Kind?

welches Temperament hat mein Kind

Erwachsene haben es, Kinder genauso: ein Temperament! Das ist die individuelle Art und Weise, nach der wir die Dinge fühlen, wahrnehmen und verarbeiten, aber auch handeln und reagieren.

Jeder Mensch wird bereits mit seinem individuellen Temperament geboren und Eltern staunen manchmal nicht schlecht, wie unterschiedlich das Temperament ihrer Kinder sein kann.

Es kommt vor, dass man manchen Kindern ein eher “schwieriges” Temperament (*) bescheinigt. Aber welches Temperament hat mein Kind? Und wie lässt sich überhaupt bestimmen, ob ein Temperament einfach oder eher schwieriger ist?

Es gibt Temperamentsdimensionen, die wir uns weiter unten genauer ansehen. Doch vorher geht es noch mal um einige grundsätzliche Annahmen, was die Entwicklung menschlichen Verhaltens betrifft.

Grundsätzliche Überlegungen zum Temperament des Kindes

Der Behaviorismus, aber auch die Bindungstheorie setzten voraus, dass es nur eine Richtung für die Entwicklung menschlichen Verhaltens gibt. Nämlich die, dass die Umwelt (also in der Regel die Eltern) beeinflusst, wie sich ein Mensch entwickelt.

Nach diesen Ansätzen ist es also so, dass sich (nur) das Verhalten der Eltern auf das Verhalten des Kindes auswirkt. Diese Annahme ist auch heute noch weit verbreitet. “Sind die Eltern entspannt, ist auch das Kind entspannt” ist eine Aussage, auf die man in Elterngesprächen immer wieder mal trifft.

Heute weiß man, dass es hier nicht nur eine Wirkrichtung gibt. Denn nicht nur die Eltern beinflussen mit ihrem Verhalten das Kind, auch das Kind beeinflusst mit seinem Verhalten die Eltern.

Unruhe oder schlechte Laune auf Seiten der Eltern können also einerseits die Ursache für “schwieriges” Verhalten beim Kind sein. Andererseits kann es auch als Folge des kindlichen Verhaltens entstehen (Lohaus, Vierhaus, Maass, 2019).

Welche Temperamentsdimensionen gibt es?

Nun sehen wir uns die verschiedenen Dimensionen des Temperaments genauer an. Thomas und Chess (1977) hatten in ihren Untersuchungen zunächst 9 Dimensionen herausgearbeitet. Später wurde die Anzahl der Dimensionen auf 7 reduziert.

Die 9 Temperamentsdimensionen nach Thomas und Chess (1977)

DimensionInhaltAusprägungen
Annäherung/
Vermeidung
Wie reagiert das Kind auf neue Personen oder Situationen?Annäherung/
Vermeidung
AktivitätWie ist das Niveau motorischer Aktivität (beim Essen, Schlaf, Spiel etc.)?Hoch/Niedrig
IntensitätWie heftig fallen die Reaktionen des Kindes aus?Hoch/Niedrig
StimmungslageWie ist die vorherrschende Stimmungslage?Positiv/Negativ
AblenkbarkeitWie leicht wird das Kind von Reizen abgelenkt?Hoch/Niedrig
AusdauerWie gut hält das Kind eine Tätigkeit trotz Schwierigkeiten durch?Hoch/Niedrig
AnpassungsfähigkeitWie tolerant ist es ggü. Veränderungen?Hoch/Niedrig
Sensorische
Empfindlichkeit
Wie empfindlich ist es ggü. sensorischen Reizen (z. B. Licht, Geräuschen)?Hoch/Niedrig
RegelmäßigkeitWie sehr sind biologische Funktionen (z. B. Schlaf, Hunger) vorhersagbar?Hoch/Niedrig
Die 9 Dimensionen des Tempraments nach Thomas und Chess (1977)

Vielleicht sieht der eine oder andere schon, welche Temperamentsdimensionen beim eigenen Kind eine Rolle spielen bzw. besonders ausgeprägt sind. Trotzdem kann man sich fragen, ab wann man denn von einem “schwierigen” Temperament spricht. Die Antwort darauf gibt es im nächsten Abschnitt.

Welche Temperamentstypen gibt es?

Thomas und Chess (1977) konnten anhand der Dimensionen drei Temperamentstypen unterscheiden: ein einfaches, schwieriges und langsam auftauendes Temperament. Von den Kindern, die sie untersuchten, ließen sich 65% zu einem dieser drei Temperamentstypen zuordnen. Die meisten der Kinder, die sich eindeutig zuordnen ließen, zeigten außerdem ein einfaches Temperament.

Temperamentstypen nach Thomas und Chess (1977)

Typ 1Typ 2Typ 3
TemperamentsdimensionEinfachSchwierigLangsam auftauend
Annäherung/ VermeidungAnnäherungVermeidungVermeidung
Aktivität HochNiedrig
IntensitätNiedrig bis moderatHochNiedrig
StimmungslagePositivNegativ
AnpassungsfähigkeitHochNiedrigNiedrig
RegelmäßigkeitHochNiedrig
Temperamentstypen nach Thomas und Chess (1977)

Das bedeutet aber auch, dass bei mehr als einem Drittel der Kinder die Zuordnung nicht so eindeutig war. Möglich ist z.B., dass bei diesen Kindern Mischformen aus den verschiedenen Typen gefunden wurden. Solche eine Einteilung dient also wie so oft eher als Orientierungshilfe.

Wie stabil ist das Temperament eines Kindes?

Man geht davon aus, dass das Temperament über die Zeit hinweg relativ stabil ist. Dennoch finden sich bei genauerer Betrachtung Hinweise darauf, dass manche Temperamentsdimensionen stabiler sind als andere.

Ein Beispiel dafür ist die Dimension Annäherung/Vermeidung: Bei den meisten Grundschulkindern sieht man hier die gleiche Verhaltensausprägung, die man bei ihnen schon im Alter von zwei Jahren beobachten konnte (Kagan, Reznick & Snidman, 1987).

Außerdem wird geschätzt, dass ca. 40-60% des kindlichen Temperaments genetisch bestimmt sind (Goldsmith, Buss & Lemery, 1997).

Gibt es Zusammenhänge zwischen kindlichem Temperament und (späteren) Anpasungsschwierigkeiten?

Einerseits gibt es Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem kindlichen Temperament und späteren Anpassungsschwierigkeiten zeigen. Das bezieht sich z.B. auf Merkmale wie Kriminalität oder soziale Kompetenz (Caspi et al., 1995).

Auch zeigte sich, dass ein Grund für frühkindliche Regulationsstörungen (z.B. bei Schreikindern) ein eher schwieriges Temperament des Babys sein kann (Papoušek, 2002).

Allerdings muss man dazu sagen, dass auch das Verhalten der Umwelt (Eltern, Kita/Schule, Peers) eine wesentliche Rolle für die Entwicklung des Kindes spielt. Das bedeutet also, dass Kinder mit einem “schwierigen” Temperament später nicht automatisch Anpassungsschwierigkeiten haben werden.

Wenn die Familie genügend Ressourcen (*) hat, kann sich das Kind so entwickeln, dass es später trotz anspruchsvollerer Temperamentsmerkmale im Leben gut zurecht kommt.

Fazit

Das kindliche Temperament ist eine spannende Angelegenheit! Ein Baby kommt zur Welt und es ist schon mit einem bestimmten Temperament ausgestattet, das es zumindest in Teilen ein Leben lang begleiten wird. Möglicherweise unterscheidet sich dieses Temperament auch von dem Temperament der größeren Geschwisterkinder oder dem der Eltern.

Eltern können das Temperament ihres Kindes beeinflussen, und doch gibt es vermutlich immer mal wieder Situationen, in denen sie sich an Folgendes erinnern müssen: Ein Kind verhält sich nicht absichtlich “anstrengend”, sondern es ist einfach mit diesen individuellen Ausprägungen geboren worden. Nehmen wir es so an, wie es ist, kann es sich auch mit eher “schwierigen” Temperamentsmerkmalen gut entwickeln.

Welches Temperament haben eure Kinder? Unterscheiden sie sich von den Geschwistern oder von euch Eltern? Ich freue mich über eure Kommentare!

Literatur & Links

Caspi, A., Henry, B., McGee, R. O., Moffitt, T. E., & Silva, P. A. (1995). Temperamental origins of child and adolescent behavior problems: From age three to age fifteen. Child development, 66, 55-68.

Goldsmith, H. H., Buss, K. A., & Lemery, K. S. (1997). Toddler and childhood temperament: expanded content, stronger genetic evidence, new evidence for the importance of environment. Developmental psychology, 33, 891.

Kagan, J., Reznick, J. S., & Snidman, N. (1987). The physiology and psychology of behavioral inhibition in children. Child development, 1459-1473.

Lohaus, A., Vierhaus, M., & Maass, A. (2019). Entwicklungspsychologie. Berlin: Springer.

Papoušek, M. (2002). Störungen des Säuglingsalters. Lehrbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie des Kindes-und Jugendalters. Thieme, Stuttgart, 80-100.

https://www.klett-kita.de/von-geburt-an-anders-kindliches-temperament/




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7 Kommentare

  1. Hey,

    das ist ein super spannendes Thema. Im Krankenhaus, als mein Kind gerade einmal zwei Tage jung war, “bescheinigte” ihm schon eine Kinderkrankenschwester, dass er schon jetzt weiß, was er will. Ja, das hat sich auch bis zum heutigen Tage nicht geändert. Dennoch könnte ich ihn in keine der Kategorien ganz klar eingruppieren. Aber du schreibst ja, dass es eher eine Orientierungshilfe ist.

    Liebe Grüße
    Mo

    • Liebe Mo,

      Genau, mehr als eine Orientierung ist das nicht. Aber ich kenne das auch, dass bestimmte Eigenschaften schon von Anfang an da waren und sich jetzt so ‘durchziehen’ 😉

      Viele Grüße
      Mady

  2. Sandra M. | swiaty.library

    Hey du.
    Ein absolutes tolles, spannendes Thema und der kleine Test hilft zur Orientierung. Meine vier Kinder sind auch durch und durch willensstark. Ich finde das sehr gut. Sie wissen sich durchzusetzen.

    Liebe Grüße,
    Sandra

    • Liebe Sandra,

      Ich finde das Thema auch sehr interessant! Es hilft mir dabei, manche Verhaltensweisen etwas entspannter zu sehen – sie gehören einfach zur Persönlichkeit des Kindes dazu 🙂

      Viele Grüße
      Mady

  3. Ein spannendes Thema! Faszinierend finde ich auch immer, wie unterschiedlich Geschwisterkinder sein können. Selten haben sie das gleiche Temperament, sondern unterscheiden sich deutlich.

    • Das finde ich auch! Mein Eindruck ist, dass Kind 1 und Kind 2 oft sehr unterschiedlich sind, als ob die Gene beim zweiten Kind noch mal komplett durchgeschüttelt wurden 🙂 Aber das kann auch ein subjektives Empfinden von mir sein.

  4. Ich treffe bei mir auf Arbeit auch auf viele verschiedene Temperamente, hab mir darüber aber noch gar keine Gedanken gemacht, dass man diese auch wissenschaftlich einteilen kann. Muss ich mal intensiver drauf achten! Auf jeden Fall kann man mit bestimmten Temperamenten besser bzw. schlechter arbeiten!

    Liebe Grüße
    Jana

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