Sexuelle Gewalt Täterstrategien (Teil 2/2)

Sexuelle Gewalt Täterstrategien

Wenn Kinder Opfer von sexueller Gewalt werden, dann geschieht das in den meisten Fällen nicht spontan oder zufällig. Im ersten Teil zum Thema Täterstrategien wurde schon deutlich, wie gezielt Täter im Rahmen von sexueller Gewalt gegen Kinder vorgehen. Zusammengefasst hier noch mal die Täterstrategien, die bisher genannt wurden:

  1. Gezielte Kontaktaufnahme zu potentiellen Opfern
  2. Auswahl des Opfers
  3. Desensibilisierung des Opfers im Hinblick auf körperliche Berührungen
  4. Die Wahrnehmung der Umwelt vernebeln
  5. Die “Verführung” des Opfers

Nachfolgend werden die restlichen Täterstrategien beschrieben, die sich vor allem auf die Manipulation des Opfers beziehen.

Sexuelle Gewalt Täterstrategien (Fortsetzung)

6. Den Tatort und Zeitpunkt wählen

Sexuelle Gewalt, der innerhalb der Familie stattfindet, benötigt hinsichtlich Tatort und Zeitpunkt keine besonderen Vorbereitungen. Die Täter wissen, wann sie ungestört sind und nutzen z.B. die Abwesenheit der Mutter (Krankenhausaufenthalt, regelmäßige Sportkurse oder Verabredungen), um das Kind zu missbrauchen.

Manchmal verändern Täter die räumlichen Gegebenheiten so, dass sie ihre Taten leichter umsetzen können. So erhält ein Kind in der Familie z.B. ein eigenes Zimmer; oder in außerfamiliären Institutionen werden Türschlösser ausgetauscht oder Räume abgedunkelt.

7. Den Widerstand des Opfers ignorieren

Alle Kinder zeigen eine aktive oder passive Form von Gegenwehr, wenn sie sexuellen Missbrauch erfahren. Doch dieser Widerstand ist zwecklos. Täter nutzen ihre Überlegenheit aus und setzen sich z.T. sehr geschickt über den vom Kind ausgeübten Widerstand hinweg.

8. Die Wahrnehmung des Opfers vernebeln

Nicht nur die Umwelt wird getäuscht, damit das Verbrechen nicht entdeckt wird. Auch das Kind wird in seiner Wahrnehmung manipuliert, damit es niemandem von dem Missbrauch erzählt. Täter versuchen dem Kind einzureden, dass die Taten nur im Sinne von Liebe, Pflege, Fürsorge, Aufklärung etc. geschehen sind. Der Missbrauch wird uminterpretiert und als positives Ereignis dargestellt. Außerdem wird dem Kind immer wieder erklärt, dass die Handlungen ganz normal seien (“Das machen alle Kinder mit ihrem Vater!”).

Kinder fallen leicht auf die “Tricks” der Täter rein, denn je jünger sie sind, umso weniger wissen sie über Sexualität. Wie sehen diese “Tricks”, die oft spielerisch zum Einsatz kommen, konkret aus?

  • Täter bzw. Täterinnen schmieren ihr Geschlechtsteil ein und spielen z.B. “Schokoladenmännchen ablutschen”
  • als “Zauberspiel” getarnt, wird dem Kind gezeigt, wie “aus dem Penis eine Wolke kommt”
  • als “Krankheitsvorsorge” getarnt, wird das Kind täglich auf “Würmer” o.Ä. untersucht
  • Täter “bestrafen” das Kind mit dem Missbrauch, wenn es etwas “falsch” gemacht hat

Wenn Täter und Täterinnen die Wahrheit über Sexualität, sexuelle Normen und Moralvorstellungen verdrehen, machen sie ihre Opfer zugänglicher für den Missbrauch. Denn das Kind glaubt aufgrund seiner Unerfahrenheit diesen falschen Darstellungen, übernimmt diese irgendwann als “normal” und fügt sich letztendlich dem Täter.

Letzten Endes vernebeln Täter auch die Wahrnehmung des Kindes, indem sie ihm Tabletten, Alkohol oder Drogen geben und damit wehrlos machen.

9. Alkohol als “Entschuldigung” bzw. Ausrede für die Taten

Eine beliebte Strategie, mit der Täter auch vor Gericht eine mildere Strafe erwirken können, ist das absichtliche Trinken von Alkohol vor bzw. während der Taten. Falls es zu einer Verhandlung vor Gericht kommen sollte, argumentieren Täter dann, dass sie aufgrund des Alkoholkonsums die Kontrolle über sich verloren hätten.

10. Das Opfer isolieren und kontrollieren

Täter isolieren das Kind von seinen Bezugspersonen, damit es sich ihnen nicht anvertrauen kann. Wie oben beschrieben, wird u.A. die Beziehung zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil gezielt geschwächt. Aber auch Freunde des Kindes werden schlecht gemacht, damit sich das Kind von ihnen abwendet.

11. Den Missbrauch zum “gemeinsamen Geheimnis” erklären

Gängige Täterstrategie ist es, dem Kind vorzutäuschen, dass die Taten ein “gemeinsames Geheimnis” darstellen. Dem Kind wird damit vermittelt, dass es bei den Taten eine aktive Rolle einnimmt. Auch Drohungen sorgen dafür, dass das Kind die Taten für sich behält. Besonders traurig ist, dass die Kinder mit der Zeit denken, sie hätten eine Verantwortung für das, was geschieht. Daraus resultieren dann wiederum Schuld- und Schamgefühle beim Kind, so dass es ihm noch schwerer fällt, über die Taten zu besprechen.

12. Das Opfer zum Schweigen bringen

Sollte nun das Kind doch anfangen sich zu wehren, gehen Täter noch rigoroser vor. Solange das Kind lieb mitmacht, erlebt es den Täter von seiner freundlichen Seite. Wehrt es sich aber, nehmen Schikane und Gewalt gegen das Kind zu, damit es wieder gefügig wird.

Vorsicht: Sollten Außenstehende einen Verdacht äußern (und der Täter bekommt es mit), führt das i.d.R. zu extremer psychischer und physischer Gewalt gegen das Opfer, damit es die Wahrheit offen leugnet und die Taten bestreitet (oder eigene Aussagen zurück nimmt). Daher ist es für Dritte nicht empfehlenswert, den Täter bei Verdacht direkt anzusprechen – der Schaden, der damit angerichtet werden kann ist enorm und es kann dazu kommen, dass die Taten noch viele Jahre unentdeckt bleiben.

Beispiele für Drohungen / Schikane / Gewaltanwendung:

  • Spielzeuge/Kuscheltiere des Kindes werden zerstört
  • ein Hund wird auf das Kind gehetzt
  • das Haustier wird vergiftet
  • die Drohung, das Kind (oder andere Familienmitglieder) zu töten oder ihnen anderweitig zu schaden
  • die Drohung, dass die Mutter (oder eine andere nahestehende Person) das Kind nicht mehr lieb hat oder krank wird, wenn sie von den Taten erfährt
  • die Drohung, dass die Familie zerstört wird, wenn das Kind etwas erzählt (das Kind ist somit verantwortlich dafür, dass die Familie nicht auseinanderbricht)
  • die Drohung, dass das Kind ins Gefängnis oder ins Heim kommt
  • bei (vor) den Taten liegt eine Waffe (z.B. Messer, Pistole) im Sichtfeld des Kindes
  • der Täter droht mit Selbstmord

13. Das Opfer diffamieren

Täter werten das Kind vor Dritten ab, damit niemand auf die Idee kommt, dass ein Interesse am Kind bestehen könnte (“So wie die aussieht, bekommt sie nie einen ab!”).

14. Dem Opfer die Schuld zuweisen

Bei sexueller Gewalt ist “blaming the victim”, also dem Opfer die Schuld geben, gängige Strategie (“Es macht dir doch Spaß!”, “Du willst es doch auch!”, “Du hast doch freiwillig mitgemacht!”).

15. Körperliche Gewalt

Ergänzend zu den obigen Beispielen für Drohungen gegen das Kind folgen hier noch Beispiele für die Anwendung von körperliche Gewalt:

  • Schläge und Tritte, wenn sich das Kind wehrt
  • Verbrennungen, Verbrühungen und Essensentzug
  • Gegenstände, mit denen das Kind verletzt wird

Fazit

Es gibt eine lange Liste an Täterstrategien. Das macht einmal mehr deutlich, dass sexuelle Gewalt von Tätern und Täterinnen weit im Voraus und im Detail geplant wird. Aber je mehr Menschen davon erfahren, umso leichter wird es hoffentlich, auf sexuelle Gewalt bzw. die potentielle Gefahr aufmerksam zu werden.

Literatur & Links

Enders, U. (1996). Zart war ich, bitter war’s: Handbuch gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

https://www.schulische-gewaltpraevention.de/index.php/handbuecher-gewaltpraevention/handbuch-grundschule/lernfelder-und-ansatzpunkte/gewaltsituationen/sexualisierte-gewalt/289-taeterstrategien

Ein Kommentar

  1. christine jahns

    Ich bin mit 6 Jahren sexuell mißbraucht worden und habe mit 70 Jahren eine Re-Traumatisierung erlebt- der Täter hat mich “eingelullt” mit seiner Art, mich verliebt gemacht, meine Bedürftigkeit ausgenutzt, um dann mein ” Nein” zum Sex zu ignorieren : Du willst es doch auch! Hat dir doch Spaß gemacht”, ” Du hast es doch freiwillig gemacht!” Er hat mich die ganze Zeit nur benutzt und überhaupt nicht an mich gedacht. Ich fühlte mich danach nur noch beschmutzt, ganz furchtbar.! Ich will damit nur sagen -es ist möglich, auch noch im Alter eine Re-Traumatisierung zu erleben, wenn das 1. Trauma nicht bearbeitet wurde und man sich nicht abgrenzen kann. Leider verstehen viele Menschen nicht, dass man auch noch im Alter eine Re-Traumatisierung erleben kann, also ” Opfer” wird – schließlich ist man ja jetzt erwachsen und sollte sich abgrenzen können. Aber so einfach ist das nicht, wie wir Traumatisierten wissen.
    Also, bitte paßt auf euch auf und laßt euch nicht benutzen, grenzt euch ab! Und laßt euch von denen, die euch nicht verstehen, nicht verunsichern, ihr allein kennt die Wahrheit.
    Ich bin jetzt in einer Traumatherapie und hoffe, endlich alles aufarbeiten zu können.
    Herzliche Grüße
    Christine

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